Nur die Ruhe vor dem Sturm in Haiti?

Angelika Hoffmann zur Lage nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse.

In der Nacht zum vergangenen Mittwoch wurde der haitianische Präsident Jovenel Moïse in seinem Haus in Port-au-Prince bei einem Überfall von mehreren Attentätern erschossen. Die Bornerin Angelika Hoffmann, die seit 2012 in Haiti lebt und dort in verschiedenen Hilfsprojekten mit der hiesigen Organisation Haiti-Farnières arbeitet, berichtet von einer zwar angespannten, aber noch ruhigen Lage in dem bitterarmen Karibikstaat.

Die wichtigste Information vorneweg: Angelika Hoffmann geht es gut und sie fühlt sich in Sicherheit. „In der Presse und im Internet wird zur Vorsicht gemahnt und somit sind die Straßen im Moment so gut wie leer“, so ihr Statement zur momentanen Situation. Die Angst vor Straßenblockaden gehe um und deshalb würden die meisten Menschen es vorziehen, einfach zu Hause zu bleiben. Für Angelika Hoffmann bedeutet dies, dass sich ihr Leben zur jetzigen Zeit ein wenig entschleunigt. Was bei ihrem enormen Arbeitspensum vielleicht gar nicht so schlecht ist. Ferner sind alle Banken und öffentlichen Ämter geschlossen, weil eine 14-tägige Staatstrauer angeordnet wurde. Angelika Hoffmann lebt im Nord-Osten Haitis in Fort-Liberté, rund 200 km weit von der Hauptstadt Port-au-Prince entfernt. Sie hätte eigentlich erwartet, dass es in der Hauptstadt unruhig werden würde. Ihre Ziehtochter Sandra, die seit vielen Jahren von Angelika unterstützt wird, hat ihr aber versichert, dass es auch in Port-au-Prince ruhig sei. Ist es die Ruhe vor dem Sturm? Nach Angaben der Bornerin muss man erst einmal einige Tage abwarten.

Danach wird sich zeigen, wie es weitergeht mit dem Leben in dem von Not und Misswirtschaft gebeutelten Karibikstaat. Laut haitianischen Medien streiten sich schon verschiedene Politiker um die Nachfolge im Präsidentenpalast. Bereits seit geraumer Zeit war Präsident Moïse sehr umstritten und nicht beliebt. Ihm wurden Korruption, Vetternwirtschaft und Verbindungen zu brutalen Banden vorgeworfen. Seit eineinhalb Jahren verschlimmerte sich die ohnehin schon prekäre Situation der Haitianer immer wieder. Benzinmangel, rasante Inflation und damit verbundene mangelnde Versorgung, Bandenkriege, Entführungen und Vergewaltigungen machen das Leben für viele Menschen seitdem zur Hölle. Und die Regierung unter Präsident Moïse hatte all dem bisher nichts entgegen zu setzen.

Im ganzen Land ist man sehr verwundert über den Hergang des Attentates auf das Staatsoberhaupt, das in seinem eigenen Haus überfallen wurde. „Ist es nicht sonderbar, dass bei diesem Anschlag kein einziger Wachmann verletzt wurde?“, so Angelika Hoffmann. Das Haus des Präsidenten müsse doch mit Kameras und von geschulten Leuten überwacht werden. Und trotzdem seien nur der Präsident und seine Gattin zu Schaden gekommen. „Da stellen sich die Haitianer doch einige Fragen.“ Angelika Hoffmann konnte außerdem versichern, dass das Attentat auf Präsident Moïse und seine Folgen zum jetzigen Zeitpunkt keinen direkten Einfluss auf die Projekte von Haiti-Farnières haben. Im letzten Jahr wurde ein großes Grundstück gekauft und dort wird nun ein landwirtschaftliches Zentrum aufgebaut. Ärgerlich sei die Schließung der Grenze zur Dominikanischen Republik. „Solange die Grenze dicht ist, können verschiedene Teile, die zur Fertigstellung der Umzäunung benötigt werden, nicht eingekauft werden.“ Aber auch hier macht sich die gebürtige Bornerin keine allzu große Sorgen. Die karibische Gelassenheit hat mittlerweile auch sie erfasst.

Was die Situation im Allgemeinen betrifft, so möchte die haitianische Ostbelgierin nicht von Angst sprechen, die sich in der Bevölkerung breit macht. Sie nennt es eher „Vorsicht“, da man nie wisse, wie sich die Sache entwickele. „Die Lage im Land ist nach wie vor instabil und kann sich von einem Tag auf den anderen komplett ändern und in Gewalt münden.“ Man könne nur hoffen, dass die Verantwortlichen des Landes Ruhe bewahren und sich diese Ruhe auf die Bevölkerung übertrage. Vielleicht kann Haiti dieses Unglück ja in eine Chance umwandeln. Dazu braucht es besonnene und vor allen Dingen selbstlose Politiker, die nun die Weichen in eine neue und hoffentlich bessere Zukunft stellen. Die Haitianer und ganz besonders Angelika Hoffmann hätten es lange verdient.

 

Quelle: GrenzEcho, Albert Desenfants